Süddeutsche Zeitung, 04.11.2010


Die glücklichen Acht

Mittelweg zwischen Nähe und Distanz:
Wie aus dem Wagnis einer Seniorinnen-WG ein Erfolgsmodell wurde

München - Über mangelndes Interesse hat Christa Lippmann sich noch nie beschweren können. An manchen Tagen rufen drei Frauen bei ihr an, an anderen fünf, die wissen wollen, wie man an eine dieser Traumwohnungen kommt. Lippmann ist Mitbegründerin des Vereins 'Nachbarschaftlich leben für Frauen im Alter', der vor 13 Jahren in Pasing einem der ersten alternativen Frauenwohnprojekte zum Leben verholfen hat, mittlerweile ein zweites betreibt und ein drittes im Aufbau hat. Sie weiß, dass sich dieser Traum vom Altwerden in Gemeinschaft zwar einfach anhört, die Praxis aber keine einfache ist. Also hat sie sich angewohnt, gleich Klartext mit den Anruferinnen zu reden. Wer nur wissen will, wie viel das Wohnen dort kostet, wer nach einem 'Besichtigungstermin' fragt, kommt in der Regel nicht weit. Es ist ja nicht so, als miete man sich in einem Altenheim mit Musterwohnung ein.

Wer also dazu stoßen will, der muss schon ein bisschen mehr auf sich nehmen: Die Mitgliedschaft im Verein ist obligatorisch, Interesse an dessen Kulturangebot wird vorausgesetzt. Ob Praxisbericht einer Altenpflegerin über Alzheimer oder ein 'Schnupperkurs am Computer' - ein 'gewisses Niveau', sagt Lippmann, dürften die Frauen schon mitbringen. Und ob jemand gruppentauglich ist, spielt natürlich auch eine Rolle. Bei der zweiten Wohngruppe, die 2007 an den Ackermannbogen zog, haben sich am Ende acht Frauen im Alter zwischen 62 und 82 Jahren gefunden, bei denen sowohl der Verein wie auch sie selbst das Gefühl hatten, dass es passt. Acht sei eine gute Zahl, sagt Lippmann. Da sei die Gruppe noch überschaubar und doch nicht so klein, dass es Gemauschel gibt.

Die Gründerinnen, die sich seit Jahren aus der evangelischen, feministisch geprägten Frauenarbeit kannten, haben eine Wohnform kreiert, die einen Mittelweg zwischen Nähe und Distanz ermöglichen soll - und zudem noch erschwinglich ist. Die Frauen haben die Wohnung gemietet, die Gruppe verfügt zudem über einen vom Verein erworbenen Gemeinschaftsraum für Besprechungen oder Feste. Die Bewohnerinnen sichern einander zu, sich zu helfen, wenn eine krank oder unpässlich ist. In der Pasinger Gruppe habe sich über die Jahre gezeigt, dass diese Zusage eingehalten werde, sagt Lippmann. Eine der Frauen dort ist inzwischen beinahe blind, die anderen gehen für sie einkaufen.

Die Frauen am Ackermannbogen sind alle noch so fit, dass sie sich selbst versorgen können. Und doch gab es auch hier schon Situationen, in denen sie dieses Achtsam-Sein erproben konnten. Feodora Riotte etwa hatte sich einmal nach einer durchwachten Nacht morgens noch einmal ins Bett gelegt. Die Nachbarinnen aber machten sich Sorgen, als ihnen auffiel, dass die Rollos noch immer geschlossen waren, und kamen mit dem Ersatzschlüssel in die Wohnung. 'Das war schon komisch, als ich aufwachte und die beiden im Schlafzimmer standen', erinnert sich Riotte. Und auch den anderen war es in dem Moment wohl etwas unangenehm. Am Ende aber waren alle drei erleichtert. Auch dazu müsse man eben bereit sein bei diesem Wohn-Wagnis, sagt Lippmann: Hilfe zuzulassen.

Wohnfrauen blicken vom Balkon auf Wohnanlage
Man muss Hilfe auch zulassen können: Am Ackermannbogen gibt es seit 2007 eine Seniorinnen-WG, sie ist die zweite derartige Wohngruppe.
Foto: Catherina Hess


Hilfe bekamen die Gründerinnen auch bei der Umsetzung ihrer Idee. Nach zwölf aufreibenden Jahren der Suche stellte das evangelische Siedlungswerk den Frauen in Pasing einen Neubau zur Verfügung; er wurde die Heimat von 'Wohngruppe I'.

Für die zweite Wohngruppe fand der Verein in den Bauträgern CFS und Bouwfonds Partner; die Wohnungen konnten nach dem München Modell bezuschusst werden. Zuvor hatten einige Bauherrn abgewunken, einer sogar mit der Begründung, er fürchte übelriechende Korridore.

Lippmann kann dieses Zögern nicht verstehen; ihre Frauen seien doch 'die optimalen Mieterinnen', sagt sie. Ordentlich seien sie, und die Miete komme stets pünktlich, die Frauen bekommen ja Rente. Wenn auch meist weniger als Männer in diesem Alter, weil sie nicht voll berufstätig waren oder wie Ingrid Küster Angehörige gepflegt haben. Küster, eine der acht Frauen vom Ackermannbogen, hatte zehn Jahre lang ihre Schwiegermutter und ihre eigene demente Mutter im Haus. 'Das wollte ich meinen Kindern nicht zumuten.' Also machte sie sich auf die Suche nach dem anderen Wohnen.

Auch Feodora Riotte hat aktiv gesucht; den Flyer des Frauennetzwerks entdeckte sie an der Infotheke des Rathauses. Aus ihrem Schwabinger Altbau auszuziehen, sei ihr nicht leicht gefallen, sagt Riotte. Das Klavier, die vertrauten Nachbarn, das pulsierende Stadtviertel hat sie zurückgelassen. Aber ihr sei klar gewesen, dass 'es so nicht weitergehen kann'. Die Treppen im Altbau bereiteten ihr Schmerzen, jetzt reicht der Fahrstuhl bis zur Wohnung.

Und für den Fall, dass sie sich wieder mal tagsüber hinlegt, haben die Bewohnerinnen nun ein Zeichen vereinbart: Das Küchenrollo bleibt offen. So wissen die anderen Frauen, dass es ihr gut geht.

MONIKA MAIER-ALBANG