... „Ein schönes Gefühl der Geborgenheit“
„Alter muss nicht grau und langweilig sein“, findet Christa Lippmann (66). Sie ist Mitbegründerin und Vorstandsvorsitzende des in München ansässigen Fördervereins Nachbarschaftlich leben für Frauen im Alter e. V. 1986. In der Satzung heißt es: „Der Verein verfolgt das Ziel, der Vereinsamung im Alter entgegenzuwirken, das psychische Wohlbefinden in der eigenen Wohnung zu erhalten und so der vorzeitigen Einweisung in ein Altersheim vorzubeugen.“ Die Vereinsgründerinnen engagierten sich viele Jahre in der evangelischen, feministisch geprägten Frauenarbeit in der Gruppe „Frau im Beruf“. Vor mehr als 20 Jahren haben sie eine Wohnform kreiert, die einen Mittelweg zwischen Nähe und Distanz schafft und zudem noch für kleinere und mittlere Einkommen erschwinglich ist. „Diese Frauen“, erzählt Christa Lippmann, „überlegten sich bereits inden 80er-Jahren, wie sie im Alter leben wollten“. Doch bezahlbarer Wohnraum ist in München knapp, und so dauerte es zwölf lange Jahre mit vielen Höhen und Tiefen, bis die erste Wohngruppe in Pasing einen Neubau des evangelischen Siedlungswerkes beziehen konnte. Acht Frauen leben seither dort zusammen. Frauen, die gleiche Interessen und soziales Engagement verbindet. Eine der Pionierinnen, Siglinde Falkenberg (84), ist trotz aller Anfangsschwierigkeiten überzeugt, den für sie einzig richtigen Weg gegangen zu sein: „Die Gemeinschaft bildet allmählich neue Werte heraus, wie sie das menschliche Miteinander kultiviert. Als Lohn erhalten wir das schöne Gefühl der Geborgenheit. Ich finde, wir sind mehr als nur eine Wohngemeinschaft. Nach 15 Jahren sind wir schon eine Schicksalsgemeinschaft geworden.“
Die gute Beziehung steht im Vordergrund
Im zweiten Wohnprojekt des Münchner Fördervereins, im Ackermannbogen, leben seit 2007 acht Frauen zusammen, auf vier Stockwerken verteilt. Die Mietkosten für die 42 bis 54 Quadratmeter großen Ein- und Zweizimmerwohnungen liegen bei rund 8,50 Euro pro Quadratmeter ohne Nebenkosten. Auch wenn die Wohnungen verteilt liegen, „passen die Frauen doch gegenseitig auf sich auf“, sagt Christa Lippmann. Und eines der schönsten Komplimente kommt von der 67-jährigen Bewohnerin Ingrid Küster: „Eigentlich bin ich gar nicht wegen der Wohnung eingezogen, sondern wegen der tollen Gruppe.“ Die Vorstandsvorsitzende Dr. Lippmann kann sich über eine mangelnde Zahl von Interessentinnen nicht beklagen. „Immer wieder rufen Frauen an, die raus wollen aus ihrer Altbauwohnung im dritten Stock, um nur ein Beispiel zu nennen.“ Doch viel wichtiger sei es, dass sich zunächst eine Gruppe finde, die solch ein Projekt realisieren möchte. Dann sei es erst einmal wichtig, dass sich die Seniorinnen kennen lernen, zusammenfinden und miteinander arbeiten. Die Wohnungen sind zweitrangig – die gute Beziehung steht im Vordergrund und das unterscheidet diese Gruppe von anderen. Denn hier kommt es in erster Linie auf eine tragfähige Beziehung auf Dauer an.
Der Förderverein Nachbarschaftlich leben für Frauen im Alter e. V. koordiniert die einzelnen Gruppen, macht Medienarbeit und wählt die neuen Mitfrauen aus. Wenn sich aus dem Verein heraus eine neue Gruppe bildet, sucht der Vorstand Wohnungen, indem er mit Bauträgern in Kontakt tritt. Wer mitmachen will, muss Mitglied im Verein werden, ein Interesse an dessen Kulturangebot wird vorausgesetzt. „Ein gewisses Niveau“ so Christa Lippmann, „dürfen die Frauen schon mitbringen. Daher wird in die Wohngruppe nur aufgenommen, wer sich als Teil ihrer Lebensgestaltung sozial engagiert hat oder bereit ist, dies in der Gruppe zu tun. Bei manchen ist es die Kirche, bei anderen die Nachbarschaftshilfe oder die Alten- und Servicezentren als Ort des Engagements.“
Dieselben Interessen – das gilt für beide Wohngruppen des Vereins – bilden eine gute Grundlage, um miteinander auszukommen. Trotzdem gibt es natürlich auch Konflikte.
Aber mit Hilfe von Mediatoren gelingt es, diese meist zügig zu lösen. „Dabei ist zu bedenken, dass jede Frau mindestens 60 Lebensjahre hinter sich, Erfolge und Frustrationen erlebt und diese unterschiedlich verarbeitet hat. Es wird viel von jeder Frau verlangt, wenn nach Jahren des Alleinseins kulturelle und sonstige Tagesgestaltungen gemeinsam unternommen werden.“
Reges Interesse an den Gruppen
Doch keine der Bewohnerinnen hat ihre Entscheidung jemals bereut. Feodora Riotte (75), die im Wohnprojekt am Ackermannbogen ihr Zuhause gefunden hat, weiß warum: „Wir treffen uns hier im Gemeinschaftsraum, trinken Kaffee zusammen, gehen spazieren und können unsere Probleme bereden. Im normalen Leben ist eine Frau mit bescheidenem Einkommen leicht ausgegrenzt. Wir hatten schon den Fall, dass eine Frau Probleme mit ihrem Kostenanteil für den Gemeinschaftsraum hatte. Daraufhin beschlossen wir, dass die Gruppe den Betrag auslegt – bis die Nachbarin wieder auf dem Laufenden ist. Für uns war das eine gute Erfahrung. Die Nachbarin hatte allerdings Probleme, das Entgegenkommen anzunehmen. Inzwischen ist die Sache schon länger ausgeglichen, aber wir haben alle gelernt, wie schwer es ist, etwas anzunehmen.“
Inzwischen treffen sich regelmäßig Interessentinnen für eine neue Wohngruppe. „Waren es bei den ersten beiden Projekten vor allem Frauen von 60 Jahren aufwärts, kommen jetzt immer jüngere und vor allem gut ausgebildete Frauen. Frauen, die sich rechtzeitig nach einer Alternative umsehen wollen“, stellt Christa Lippmann fest. Sie rät den Interessierten, erst mal eine der Info-Veranstaltungen im Haus evangelisches Forum am Sendlinger Tor zu besuchen oder sich am Tag der offenen Tür umzusehen....